Daily Reports of TRANSDRIFT XIII

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1. Tagesbericht

Tiksi – eine vergessene Stadt meldet sich zurück

Tiksi liegt im arktischen Norden der russischen Republik Sacha (Jakutien), geographisch präzise auf 71° 37' 59,6'' nördlicher Breite und 128° 51' 54,2'' östlicher Länge. Bis zum Nordpol sind es 1.800 Kilometer. In Tiksi hat die Verwaltung des jakutischen Bezirks Bulun ihren Amtssitz.

Im April empfängt Tiksi seine Besucher mit blauem Himmel, -20 bis -30 Grad Celsius und klarer, für St. Petersburger und Moskauer Lungen geradezu unglaublich sauberer Luft. Eisfrei ist Tiksi im August und September. Der Seehafen von Tiksi ist, obwohl nur in diesen beiden Monaten schiffbar, von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung. Der nächste Hafen liegt fünf Schiffstagesreisen entfernt.

Ganzjährig nutzbar ist der Flughafen. Zweimal wöchentlich gibt es eine Flugverbindung in die Hauptstadt Jakutsk.

12.000 Bewohner zählte Tiksi zur Zeit der Perestroika. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde Tiksi schlicht und ergreifend vergessen. Seine Bedeutung als Militärbasis war nicht mehr gefragt. Die erste große Wanderungsbewegung setzte ein. Im Zuge der Banken- und Wirtschaftskrise Ende der 90er Jahre folgte eine zweite. Heute leben in Tiksi noch ca. 4.700 Menschen, für die staatliche Einrichtungen und – wieder verstärkt – das Militär die einzigen Arbeitgeber sind.

Tiksi durchläuft demographisch ganz zweifellos schwierige Zeiten. Richtig ist aber zugleich, dass der wirtschaftliche Aufschwung auch diesen entlegenen, fernöstlichen Teil Russlands längst erreicht hat. In dem Geschäft „Alles für Zuhause" hat man bei der Suche nach einem Wasserkocher keine Probleme, zwischen vier verschiedenen Modellen auswählen zu können. Nahrungsmittelengpässe, wie vor fünf Jahren noch an der Tagesordnung, braucht hier niemand mehr zu befürchten. Riesige Erdölvorkommen in der Tiksi vorgelagerten Laptev-See haben das Interesse multinationaler Konsortien geweckt.
Tiksis Service-Infrastruktur vesteckt sich in Plattenbauten und besteht im Wesentlichen aus einer Feuerwehrstation, einem Hotel, einem Restaurant, das phantastische einheimische Küche anbietet, einer Brotbäckerei, zwei Einkaufspassagen, einem Geschäft für Mobiltelefone und einer erstaunlich großen Anzahl von Tante-Emma-Läden. Die Müllabfuhr kommt, wie in ganz Russland üblich, zuverlässig jeden Tag.

Fußgänger stellen das Gros der Straßenverkehrsteilnehmer dar, die Zahl der angemeldeten Fahrzeuge erreicht vermutlich nicht 200, Militär nicht eingerechnet. Verkehrsschilder existieren, haben aber ihren Regelungscharakter verloren und werden daher auch nicht mehr instand gesetzt.

In Tiksi haben sich eine Reihe von Forschungseinrichtungen niedergelassen, die sich u. a. mit Hydrologie, Geologie und Meteorologie beschäftigen. Lokale Bedeutung erhält Tiksi durch seine Lage am Rand des Lena-Delta-Reservats. Die Geschichte Tiksis und der Region Bulun wird der einheimischen Bevölkerung und interessierten Touristen, bei denen es sich in der Mehrheit um Deutsche handelt, in einem kleinen Museum näher gebracht.

Grüße an alle in der Wärme,
die Expeditionsteilnehmer



 

 

 


Der Hafen von Tiksi

 

 


Die Hauptstraße von Tiksi

Montag, den 14.4.2008 (71°30' N; 129°00' E)

TRANSDRIFT XIII – Die Forschung in der Laptev-See läuft auf Hochtouren

Dank eines stabilen Hochdruckgebietes haben wir bereits wenige Tage nach Expeditionsbeginn vier Eis-Camps auf dem meterdicken Festeis der Laptev-See eingerichtet, hunderte von Messungen durchgeführt sowie ebenso viele Eis- und Wasserproben genommen.

Die Wetterbedingungen sind hervorragend und die Forschungsarbeiten laufen – trotz eisiger Kälte (-31°C; gemessen heute um 11:00 Uhr) – auf Hochtouren. Täglich starten morgens zwei Hubschrauber mit 13 Wissenschaftlern und ca. 2 t Ausrüstung vom Flughafen in Tiksi, um nach einem zweistündigen Flug das 400 km entfernte Arbeitsgebiet zu erreichen. Hier werden u. a. Eisdickenmessungen vorgenommen, meteorologische Stationen aufgebaut, ozeanographische Messungen in der Wassersäule vorgenommen und viele Wasserproben für biologische und meereschemische Studien genommen. Für die Entnahme der Wasserproben wird ein Loch mit einem Durchmesser von 25 cm durch das Festeis gebohrt. Ein Zelt schützt uns – und vor allem die Proben und Geräte – vor den arktischen Temperaturen. Forscherdrang und lange Tageszeiten lassen uns jedes Zeitgefühl vergessen und nur das ungeduldige Drängen der Hubschrauberpiloten erinnert uns abends an die rechtzeitige Rückkehr zum Flughafen in Tiksi.

Wir wohnen in vier einfach eingerichteten Gästewohnungen des Lena-Delta-Reservats und des Geophysikalischen Observatoriums. Frühstück und Abendessen bekommen wir im international bekannten (und einzigen) Restaurant der Stadt. Marina, die Chefköchin im „Nord", verwöhnt uns dabei mit hervorragender russischer Hausmannskost.

Wir können uns leider erst jetzt mit einem kurzen Bericht melden, weil unsere Internetverbindung bis heute unterbrochen war.

Die Anreise von Berlin, Bremen, Bremerhaven, Göttingen, Hamburg, Kiel, Moskau, St. Petersburg und Trier verlief ohne Probleme, so dass wir Tiksi nach mehr als 30 schlafarmen Stunden am Abend des 07.04. erreicht haben.

Herzliche Grüße aus Tiksi
Die Expeditionsteilnehmer

 

 


Tiksi im Winter 2008 – Schnee, Eiskristalle in der Luft, glatte Straßen (viele blaue Flecken ...) und kalte Windböen

 


Alfred Helbig und Thomas Ernsdorf von der Universität Trier installieren eine der meteorologischen Stationen im Eis-Camp 1. Während der Expedition werden die aktuellen Wetterdaten stündlich an Satelliten-Empfangsstationen gesendet

 

 

Donnerstag, den 17.4.2008, Tiksi

Unsere Forschungsarbeit im Schultest

Die Anwesenheit unseres Expeditionsteams spricht sich in Tiksi schnell herum. Es dauert nicht lange, da werden die ersten Interviewwünsche an uns herangetragen. Aber nicht nur die Medien zeigen Interesse. Aleksandr Yu. Gukov ist Direktor unserer Partnerorganisation Lena-Delta-Reservat in Tiksi und unterrichtet dazu auch am hiesigen arktischen Gymnasium. Die Schüler wollen mehr über unsere Arbeit wissen und so finden wir uns an einem der flugfreien Tage in einem Klassenzimmer des Gymansiums zu einer Informationsveranstaltung wieder. Die stellvertretende Bürgermeisterin von Tiksi lässt es sich nicht nehmen und begrüßt uns persönlich in nahezu fehlerfreiem Deutsch.

Für unsere diversen Powerpoint-Präsentationen haben wir Laptop und Beamer mitgebracht. Unnötig, wie sich herausstellt. Die Direktorin weist mit einigem Stolz auf die modernen Lehrmittel und Geräte einschließlich eletronischer Multifunktionstafel hin. Von wegen „am Ende der Welt".

Dann geht es los. Von den 330 Schülern des Gymnasiums hat die Direktorin die 25 besten für die Teilnahme ausgewählt. In dieser Gruppe übersteigt die Zahl der Mädchen die der Jungen um ein vielfaches. Wir liefern drei Vorträge. Lasse hat augenscheinlich bereits Erfahrung mit solchen Veranstaltungen. Seine Präsentation über die Messung der Eisdicke mit Hilfe des sog. EM-Birds ist peppig und lehrreich zugleich. Aber auch Heidis Ausführungen zur Klimaveränderung und die Arbeit unserer Wettermessstationen, die von Alfred auf Russisch vorgestellt wird, finden ihr interessiertes Publikum.

 

 


Die Expeditionsteilnehmer

Die Schüler sind überrascht, als wir ihnen ganz konkrete Beispiele dafür nennen können, wie sich die Klimaänderung bereits auf das Leben der Bevölkerung Tiksis auswirkt. Die Fundamente einiger Häuser in Tiksi sind durch das Zurückweichen des Permafrosts instabil geworden. Häuserwände stellen sich schief oder bekommen Risse. Manch einer der anwesenden Schüler mag schon um sein schönes Kinderzimmer zu Hause gebangt haben.
Nach einer Stunde ist der Wissensdurst der Schüler gedeckt. Gerne nehmen wir noch die Einladung zur Teilnahme an einer Vorführung der Tanz- und Gesangsgruppe des Gymnasiums an. Professionell geht es zu, wenn die Zehn- bis Achtzehnjährigen moderne Musik mit jakutischer Sprache verbinden. Herauskommen hierbei Lieder, die manchem von uns unter die Haut gegangen sind. Für uns bleibt die von Tag zu Tag stärker werdende Erkenntnis, dass die Menschen in Tiksi in vielerlei Hinsicht ein ähnliches Leben führen wie die Menschen in vermeintlich moderneren Städten. Unglücklich wirkten unsere Gastgeber heute jedenfalls nicht.

Herzliche Grüße aus Tiksi
Die Expeditionsteilnehmer

 

 

Freitag, den 25.4.2008

TRANSDRIFT XIII – Strahlender Sonnenschein, schwacher Wind und bitterkalte Temperaturen (bis zu -34°C)

Trotz der Kälte haben wir bereits seit 18 Tagen hervorragende Wetterbedingungen für unsere Forschungsarbeiten in der Laptev-See. Die Hubschrauber starten fast jeden Tag in Richtung Polynja zu unseren vier Eis-Camps, so dass wir die geplanten Forschungsarbeiten bisher ohne Probleme durchführen konnten.

Unser Arbeitstag beginnt 6:00 Uhr morgens mit dem Schmieren von 25 Butterbroten (die beliebten Konsul-Schnitten). Zuständig hierfür ist das täglich wechselnde Tiksi-Team, also diejenigen, die nicht zu den 15 Wissenschaftler gehören (max. Kapazität der Hubschrauber), die auf das Eis fliegen können. Auf dem Eis ist es deutlich wärmer als in Tiksi (bis zu 7° wärmer), auch ein Grund, warum kaum noch jemand Zuhause (so nennen wir unsere Gästewohnungen in der Zwischenzeit) bleiben möchte. Nachdem Butterbrote und Tee in einer großen Thermokiste verstaut sind, gehen wir gemeinsam zum Frühstücken in das 15 Minuten entfernte „Nord". Mit einem deftigen Frühstück im Bauch geht es 30 Minuten später wieder zurück in die Gästewohnungen, um die schwere Polarkleidung anzuziehen und letzte Vorbereitungen für die Stationsarbeiten zu treffen.

Ab 9:30 Uhr wartet ein LKW vor dem Lena-Delta-Reservat auf uns (hier ist ein Großteil der Ausrüstung gelagert), der von uns mit vielen Kisten beladen wird und mit dem wir dann anschließend zum Flughafen fahren. Über dick vereiste Strassen erreichen wir ca. 30 Minuten später durchgeschüttelt und etwas blass den Flughafen. Kisten wieder ausladen, zu den Hubschraubern transportieren und dort wieder einladen – dieses Spiel wird täglich wenigstens 4 Mal gespielt. Die Flugzeit zu den Forschungsstationen beträgt zwischen 1,5 und 2 Stunden, und bereits jetzt ziemlich erschöpft, machen fast alle ein kleines Nickerchen.
Ziel unserer täglichen Hubschrauberflüge ist die Laptev-See Polynja, eine Oase in Mitten der unendlichen Eiswüste des Arktischen Ozeans, die auch sehr gerne von Eisbären, Polarfüchsen, Walrössern und Seehunden besucht wird. Die Polynja ist ein System von eisfreien Wasserflächen, die das mächtige Festeis (bis zu 220 cm dick) im Süden von dem Packeis im Norden abgrenzt. Polynjasysteme sind von zentraler Bedeutung für die Meereisproduktion und das Ökosystem der Arktis. Sie reagieren sehr sensibel und schnell auf Veränderungen der ozeanischen und atmosphärischen Zirkulation und kön¬nen somit als Modell dafür herangezogen werden, wie die Arktis auf die drastischen Klimaveränderungen der letzten Jahre reagieren wird. Mit unserem umfangreichen Forschungsprogramm leisten wir einen wichtigen Beitra, die Rolle der zirkumarktischen Polynjasysteme für die Ozeanzirkulation und die Klimaentwicklung zu verstehen.

Deshalb werden vor Ort Messungen und Beobachtungen im Eis, in der Wassersäule und am Meeresboden durchgeführt sowie viele Proben genommen, die zum Teil gleich nach den Stationsarbeiten in den Labors des Lena-Delta-Reservats in Tiksi analysiert werden.  Darüber hinaus werden erstmals parallel Meeresbodenobservatorien eingesetzt und Eisdickenmessungen mit hochsensibler Technik von Bord der Hubschrauber durchgeführt sowie gezielt mit großer Genauigkeit verschiedene Fernerkundungsmethoden angewendet.

Herzliche Grüße aus Tiksi
Die Expeditionsteilnehmer

 


Laptev-See-Polynja aus Helikopter-Sicht


Freundliche (?) Besucher an unseren Stationen – die Eisbären-
tatze auf obigem Bild hat einen Durchmesser von knapp 25 cm

 

 

Samstag, den 26.4.2008

TRANSDRIFT XIII – Fliegende Zigarren über der Laptev-See Polynja

Ein Höhepunkt der Stationsarbeiten sind die Eisdickenmessungen aus dem Hubschrauber aus knapp 50 m Höhe. Hierzu fliegt der Hubschrauber mit einer konstanten Geschwindigkeit von 140 km/h in 50 m Höhe über das Eis.

30 Meter unter dem Hubschrauber hängt ein zigarrenförmiges 3 m langes Messgerät, der s.g. EM-Bird, welcher die Eisdicke mit bis zu 10 cm Genauigkeit bestimmt. Im Gebiet der Polynja wurden so bereits 700 km zurückgelegt. Den Piloten und den vier Wissenschaftlern vom AWI und AARI wird dabei höchste Aufmerksamkeit abverlangt. Optimal für die Messflüge ist die Bodenluke im MI-8, denn so können Lasse, Thomas, Jens und Mikhail das Messgerät ständig im Auge behalten und parallel Photos von der Eisoberfläche mit einer GPS-Digitalkamera aufnehmen.

Festgelegt werden die Flugrouten für die Messflüge nur wenige Stunden vor Abflug mit Hilfe von Satellitenbildern (SAR und MODIS), die wir hier täglich empfangen und die mit einer Auflösung von wenigen 10er Metern eine hervorragende Planungsgrundlage auch für unsere Stationsarbeiten liefern sowie einen umfassenden Einblick in die Dynamik des Eisregime geben. Die Auswertungen sind von fundamentaler Bedeutung  für die Fernerkundung von Meereis, die Modellierung von Eisbildungsprozessen und die Erfassung der Veränderungen der Meereisbedeckung in dieser für das globale Klima so wichtigen Region. Diese Arbeiten werden gemeinsam vom AWI, der Universität Trier und der Universität Alberta in Kanada, durchgeführt.

Trotzdem, auch die modernste Technik kann die Stationsarbeiten der Arbeitsgruppen auf dem Eis (noch) nicht ersetzen. Denn Vorrausetzung für die Datenauswertungen der Überflüge sind u.a. die Salzgehaltsmessungen im Eis und in der Wassersäule und Eisdickenmessungen mit Eisbohrern.
Am Montag geht es weiter und wir hoffen, dass die Wetterbedingungen stabil bleiben.

Herzliche Grüße aus Tiksi
Die Expeditionsteilnehmer

 

 


Flug mit dem HEM-Bird


Ein durch den Helikopter aufgeschreckter Eisbär

 

 

Sonntag, den 27.04.2008

Von Moorings, Eis und böswilligen Polarfüchsen

Es war einmal ein kleiner weißer Polarfuchs, der einsam durch sein schier endloses Revier zog…
Aber nein, so beginnen nur Märchen, und ein Märchen ist dieses hier auf keinen Fall. Vielmehr soll dieser Tagesbericht den Schwerpunkt Ozeanographie auf dieser Expedition etwas näher darstellen (wozu in diesem speziellen Falle allerdings auch obiger Polarfuchs zählt – doch dazu später mehr).
Die Ozeanographie an sich versucht, kur gesagt, die physikalischen Eigenschaften des Wassers (wie Temperatur, Salzgehalt, Strömungsrichtung- und Stärke) zu erfassen und, aufbauend auf diesen Daten, Modelle zu entwickeln, die die Variabilität dieser Parameter und ihre Kopplung mit anderen Systemen (wie z.B. der Atmosphäre oder dem Meereis) beschreiben. Salopp gesagt kann man Ozeanographie somit auch mit „Physik des Meeres" übersetzen.

 


Eine CTD im Einsatz zur Bestimmung der Temperatur, des Salzgehaltes und der Dichte des Wassers

Im Rahmen der Expedition TRANSDRIFT XIII werden die eben erwähnten ozeanographischen Parameter mit verschiedenen Methoden erhoben: Das an jeder Station zuerst gefahrene Gerät ist eine CTD (Conductivity – Temperature – Density), ein ozeanographisches Standard-Gerät, das diese Parameter viermal je Sekunde hochpräzise misst und aufzeichnet. Basierend auf diesen Daten werden dann später u.a. von den Meereschemikern Wasserproben der jeweiligen Tiefe genommen. Mit der CTD werden weiterhin, soweit möglich, auch mehrere Schnitte gefahren, also eine Kette von Messpunkten mit 100 bis 150 m Abstand zueinander, an der Polynja beginnend und zum Festeis hin verlaufend. Damit möchten wir den interessanten Übergangs-Bereich  Polynja-Festeis bzw. die Schichtung des Wassers in diesem Bereich möglichst genau erfassen.

Auch, wenn eine dieser CTD-Messungen die Parameter an diesem Punkt genau aufzeichnet, so ist diese Messung doch nur ein kurzer „Schnappschuss". Natürlich versuchen wir, dieselbe Station mehrfach anzufliegen, um wiederholt Messungen am selben Punkt durchzuführen – nichtsdestotrotz sind viele zeitliche Variabilitäten in der Wassersäule damit nur ungenügend nachvollziehbar.

 

Deswegen wurden auf den ersten Flügen dieser Expedition Langzeit-Observatorien, oder kurz „Moorings" genannt, von uns im Eis verankert. Das kann man sich so vorstellen, dass wir im Festeis eine passende Stelle möglichst nahe der Polynja auswählen, dort ein Loch in das Eis bohren und dann durch dieses Loch eine ganze Kette an Geräten herunterlassen. Diese Kette ist unten mit einem Gewicht beschwert, so dass sie (nahezu) senkrecht in der Wassersäule steht, während sie oben auf dem Eis an mehreren Punkten verankert ist. Die Messgeräte an dieser Mooring sind dann so programmiert, dass sie im Minutenabstand die Temperatur und Salinität, und fünfminütig die Strömungsrichtung und –stärke in der gesamten Wassersäule aufzeichnen, so dass mit ihrer Hilfe ein kontinuierlicher Datensatz an diesen Punkten über den gesamten Expeditionszeitraum erhoben wird.

Zum Ende der Expedition müssen diese „Moorings" dann alle wieder geborgen werden, um die gemessenen Daten aus den Geräten auszulesen – und genau hier kommen wir jetzt zu den oben erwähnten Polarfüchsen. Um das Eisloch, durch dass wir die „Moorings" ausgesetzt haben, offen zu halten, also es am Zufrieren zu hindern, benutzen wir Bojen, die in das Eisloch gesteckt und dort aufgeblasen werden. Leider scheinen Polarfüchse eben diese Bojen aber als recht interessantes Spiel-Objekt zu betrachten, so dass bereits an drei der fünf Mooring-Stationen diese Bojen mit eindeutig erkennbaren Kratz- und Bissspuren zerstört worden sind. Wir unterstellen den Polarfüchsen dabei natürlich schon eine gewisse Böswilligkeit, als kleine Genugtuung dient uns höchstens deren Schreck, wenn sie an der Boje kratzen und diese dann irgendwann mit einem mehr oder minder lautem Knall platzt.

Soweit erst einmal zur Ozeanographie – wie erfolgreich die Bergung unserer „Moorings", wie fleißig die Polarfüchse an der anderen beiden Mooring-Stationen und wie gutmütig das Eis und das Wetter mit uns sein werden, das werden die nächsten Tage zeigen.

Bis dahin schöne Grüße aus dem langsam wärmer werdenden Tiksi,
das Expeditionsteam

 

 

Tiksi, 06.05.2008

Das grosse Bangen um das letzte Meeresbodenobservatorium und die blaue meteorologische Station

Nachdem wir in der letzten Woche vier von unserer fünf Meeresbodenobservatorien (Moorings) und  drei von vier meteorologischen Stationen erfolgreich geborgen haben, macht uns jetzt doch noch das Wetter einen Strich durch die Rechnung. Bei fast sommerlichen Temperaturen um die -10°C (unser diesjähriges Angrillen fiel auf den 02. Mai - mit Rentierschaschlik, Mützen und Handschuhen), Nebel und Schneefall haben wir zurzeit nicht die besten Wetterbedingungen für unsere wissenschaftlichen Flüge. Dazu kommen die zahlreichen russischen Feiertage in der ersten Maihälfte, an denen der Flughafen immer geschlossen ist. Dies alles hat dazu gefuehrt, dass wir die Hubschrauberflüge zu unserer Zentralstation bereits drei Mal verschieben mussten.

Auf dieser Station haben wir gleich zu Beginn der Expedition unser Eis-Camp 1 mit einem Meersbodenobservatorium und einer meteorologischen Station eingerichtet. Somit ist diese Station unsere am längsten messende, und zusammen mit unseren vier zusätzlichen Flugtagen zu dieser Station rechnen wir hier mit dem umfangreichsten Datensatz. Wir hoffen deswegen auf gutes Wetter und den heutigen Flugtag, um diese Station ein letztes Mal besuchen und abbauen zu können.

Alfred und Thomas von der Universitaet Trier hingegen haben in den letzten Wochen sehr viel für die Freizeitgestaltung  der zahlreichen Eisbären und Polarfüchse im Gebiet der Polynja geleistet.

Meteorologische Stationen sind nämlich ein hervorragendes Klettergerüst für wissbegierige Eisbären, und Polarfüchse lieben, wie Hunde die Knochen, schwarze Kabel und Antennen – ein richtiger Leckerbissen.

Bis bald,
das Expeditionsteam




Meteorologische Station bzw. Eisbärspielplatz


Wenn eine Mooring im Eis fest friert, hilft nur rohe Gewalt - und ein guter Eisbohrer und viel Zeit

 

 

Moskau, den 7.5.2008

16:15 Uhr Ende der Stationsarbeit und mit Vollgas in Richtung Tiksi

Nach einem anstrengenden Arbeitstag haben wir heute unsere Stationsarbeiten erfolgreich abgeschlossen. Insgesamt haben wir an 26 Stationen gearbeitet, 5 Meeresbodenobservatorien über den gesamten Expeditionszeitraum eingesetzt sowie Eisdickenmessungen mit dem „EM-Bird", wir hatten darüber berichtet, entlang von 1500 Kilometern mit dem Hubschrauber durchgeführt. Das heutige 3-stündige Profil zählt sicherlich zu den wissenschaftlichen Höhepunkten der Expedition, da das Profil parallel zu hochauflösenden Satellitenaufnahmen geflogen wurde und damit einen umfassenden Einblick in die Eisdickenverteilung im Bereich der Polynja ermöglicht. Gleichzeitig wurden bei diesem Profil alle Eistypen bis hin zum offenen Wasser vermessen. Zu bemerken sei auch, dass wir während der Stationsarbeiten viele unverschämte Eisbären und Polarfüchse getroffen haben.

In der Nacht vom 5. auf den 6. Mai wurde es noch einmal etwas hektisch, weil uns nur wenige Stunden zwischen letzten Labormessungen im Lena-Delta-Reservat, dem Packen aller Kisten und Koffer sowie dem Reinigen der Labore und unserer Abreise nach Jakutsk blieben.

Geschafft und zufrieden sind wir am 6. Mai um 14:20 in Tiksi abgeflogen, und wir haben Jakutsk 3 Stunden später erreicht. Nach einem sehr guten Abendessen mit unserem Kollegen Mihkail Grigoriev vom dortigen Permafrost-Institut sind wir dann am nächsten Morgen um 8:00 in Richtung Moskau abgeflogen.

Aus unserer Sicht war die Expedition TRANSDRIFT XIII ein voller Erfolg. Erstmals haben wir hochauflösende Zeitreihen verschiedener Umweltparameter im Gebiet der Laptev-See-Polynja aufgezeichnet sowie mit den so genannten „Bird"-Profilen die Variabilität der Eisdicken im Übergangsbereich vom Festeis zur Polynja bis hin zum Packeis erfasst. In der Zusammenschau mit den Ergebnissen der Expedition TRANSDRIFT XII, den im letzten Jahr verankerten Meeresobservatorien, den Fernerkundungsdaten und den aufeinander abgestimmten Modellierungsansätzen werden wir einen sehr guten Einblick in die Funktionsweise des Polynja-Systems bekommen und deren Bedeutung für die Ozeanzirkulation und Eisproduktion erfassen.

Herzliche Grüße aus Moskau (wir warten gerade auf unsere Weiterflüge nach St. Petersburg, Köln und Berlin)
Die Expeditionsteilnehmer
 


Der Eisbär hat genug von unserer Forschungsarbeit gesehen

 

 

Dem Kerosin ganz nah – Auszug aus dem Logbuch eines Dienstfluges

Winterexpeditionen in der Arktis wären in dieser Region ohne Hubschrauber nicht durchführbar. Wir haben das Glück, vom russischen Militär zwei Hubschrauber einschließlich dreiköpfiger Besatzung zur Verfügung gestellt bekommen zu haben. Zum Einsatz kommen zwei Maschinen des Typs MI-8. Dreißig Jahre nach Indienststellung ist die MI-8 in der Kategorie Hubschrauber noch immer das Rückrat der russischen Militär- und Zivilluftfahrt. Allen Unkenrufen zum Trotz transportiert sie Mensch und Fracht zuverlässig auch in die unwirklichsten und entlegensten Gegenden des russischen Riesenreichs.

Bei unserer Ankunft am Flughafen laufen die Turbinen der beiden Hubschrauber bereits warm. Das Flugwetter wirft noch ein kleines Fragezeichen auf, ob wir wirklich werden starten können. Schon bei Sichtweiten unter 1.000 Meter geht grundsätzlich nichts mehr. Aber eine halbe Stunde später hat sich der unter Arktispiloten gefürchtete Whiteout über dem Flughafen verzogen, und die Piloten beginnen mit den Startvorbereitungen.

Jens, einer unserer erfahrenen Expeditonsteilnehmer, erläutert – den Piloten fehlen hierfür die Englischkenntnisse - knapp und bündig die Sicherheitshinweise. Man ist bei solchen Flügen immer auch ein bisschen Besatzungsmitglied. Die Sicherheitshinweise erfolgen von draußen bevor wir einsteigen, da das Gefährdungspotential dort am größten ist. Laufende Rotoren sind eine ernst zu nehmende Gefahrenquelle. Sauerstoffmasken fehlen; sie sind bei diesem Flug auch nicht vorgeschrieben. Diejenigen, die das erste mal an Bord einer MI-8 gehen, sind überrascht beim Anblick der drei großen Kerosintanks in der Kabine.

Unsere Ausrüstung ist schnell verstaut; bleibt die Unterbringung der Passagiere. Drei nehmen auf den zur Verfügung stehenden Sitzen Platz, der Rest macht es sich auf den Zargeskisten, die zwischen und neben den Kerosintanks stehen, bequem. Noch schnell die Ohrenstöpsel eingesetzt und los geht's.

Nach eineinhalb Stunden haben wir das Ziel erreicht. Hubschrauberlandungen auf dem Eis verlangen viel Fingerspitzengefühl. Der Hubschrauber nähert sich zunächst einmal dem Landeplatz, ohne hierbei den Boden zu berühren. Unser Eisexperte Kostja springt aus dem Hubschrauber. Mit dabei: ein Eisbohrer. Mit diesem martialisch aussehenden Gerät und unter Einsatz seines Körpergewichts treibt Kostja ein Loch in die Eisdecke, den lärmenden Hubschrauber unmittelbar neben und über sich. Ein Meter sollte das Eis schon mächtig sein, damit der Hubschrauber landen kann. Am Ende sind es 1,35 m. Der Pilot lässt den Hubschrauber wie ein Flummiball auf der Eisfläche auftischen, um sich letzte Gewissheit über die Tragfähigkeit zu verschaffen.

Aussteigen! In ca. 100 Meter Entfernung die Polynja, das Objekt unserer Forschungsbegierde. Die Polynja ist, einfach gesagt, ein Gebiet des Eisaufbruchs. Mitten in der Arktis öffnet sich die Eisfläche und lässt einen Wasserweg entstehen, der sich rund um die Polarkappe erstreckt und seine Breite ständig ändert.

 


Eisbohrer

Die Arktisnovizen unter uns fühlen sich, als sie die drei Leiterstufen aus dem Hubschrauber heruntersteigen, für einen kurzen Moment wie Armstrong bei seinem ersten Schritt auf die Mondoberfläche. Vor, neben und hinter einem Eisflächen, so weit das Auge reicht. In den Flächen reflektieren sich die Sonnenstrahlen mit die Augen blendender Intensität. Sofort fällt das Fehlen jeglicher Geräusche auf. Steht man einfach nur da, ist es totenstill. Man stellt sich vor, wie sich vor mehr als 100 Jahren die ersten Forscher ihren Weg Richtung Nordpol gebahnt haben. Es beschleicht einen ein beklemmendes, Respekt einflößendes Gefühl bei dem Gedanken, man müsse von hier aus mit schmaler Ausrüstung und ohne zu wissen, was einen erwartet, loslaufen.

Derlei Forscherromantik ist unseren Piloten berufsbezogen natürlich eher fremd. Sie sind damit beschäftigt, die Hubschrauber jederzeit in startbereitem Zustand zu halten. Dazu gehört, dass die Motoren alle 30 Minuten angeschmissen werden, um das Einfrieren der Flüssigstoffe im Motor zu verhindern und gleichzeitig die Batterie optimal aufgeladen zu halten. Zugegeben: keine sehr spannende Tätigkeit für einen fünfstündigen Aufenthalt inmitten von nichts.

Etwas Abwechslung verspricht die winterliche Lieblingsbeschäftigung des russischen Mannes, das Eisfischen. Wenn bloß nicht die beißende Kälte wäre! - Da kommt es gelegen, dass die MI-8 in der Kabine über eine Bodenluke unmittelbar über der Eisfläche verfügt. Von der Luke aus ließe sich Eisfischerei aus der Wärme des Hubschraubers betreiben. Also Bodenluke auf und Eisbohrer in Funktion gesetzt. Schade nur, dass technische Schwierigkeiten mit dem Bohrgerät den Ambitionen der Piloten heute einen Strich durch die Rechnung machen.

Und wir hatten uns schon alle so auf ein ausgefallenes Fotomotiv gefreut...